Hintergrund

Soziale und regionale Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit

Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Diabetes mellitus und chronische Atemwegserkrankungen sind im Alter zwischen 30 und 69 Jahren die häufigsten Ursachen für vorzeitige Todesfälle. In Deutschland haben nichtübertragbare Erkrankungen 2013 rund die Hälfte aller Todesfälle ausgemacht. Hierunter gehören Herzkeislauferkrankungen, Krebserkrankungen, chronische Erkrankungen der Atemwege, Diabetes mellitus sowie Demenzen.

Die Lebenserwartung unterscheidet sich deutlich je nach Region und sozialem Status.

Hinsichtlich der Lebenserwartung lassen sich deutliche regionale Unterschiede sowie eine ausgeprägte soziale Ungleichheit feststellen: nach Daten aus dem sozio-ökonomischen Panel (SOEP) leben Menschen mit höherem Einkommen deutlich länger als Menschen mit geringem Einkommen.

Neben den genannten Erkrankungen gewinnen psychische Erkrankungen an Beachtung. Es gibt zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Prävalenz psychischer Erkrankungen insgesamt deutlich zugenommen hat, allerdings ist ein Anstieg der Krankschreibungen und Frühberentungen aufgrund von psychischen Störungen zu verzeichnen. Angststörungen und Depressionen werden am häufigsten diagnostiziert.

Die Gesundheit eines Menschens wird von einer Vielzahl von Determinanten beeinflusst: von nicht veränderbaren individuellen Faktoren wie Alter und Genetik über die individuelle Lebensweise und das Gesundheitsverhalten, soziale Netzwerke, Lebens- und Arbeitsbedingungen bis hin zu übergreifenden Umweltfaktoren.

Unter Gesundheitsverhalten wird jedes Verhalten verstanden, das die Auftretenswahrscheinlichkeit von Krankheiten beeinflusst, insbesondere Verzicht auf Rauchen, angemessener Alkoholkonsum, ausreichende körperliche Aktivität, ausgewogene, gesunde Ernährung sowie angemessene Stressregulation.

 Soziostrukturelle Bedingungen, insbesondere der sozioökonomische Status und das Lebens- und Wohnumfeld, beeinflussen dieses Verhalten. Menschen mit niedriger beruflicher Stellung, einem geringen Einkommen und niedriger Bildung sterben in der Regel früher, leiden häufiger an gesundheitlichen Beeinträchtigungen und zeigen oft ein ungünstigeres Gesundheitsverhalten.

Sozial benachteiligte Stadtteile beziehungsweise Quartiere haben besonders komplexe soziale, ökonomische, infrastrukturelle und bauliche Problemlagen. In diesen Quartieren leben in der Regel viele sozioökonomisch benachteiligte Menschen: Arbeitslose, Migranten, Alleinerziehende, kinderreiche Familien. Oftmals herrscht ein Mangel an Erholungs-, Spiel- und Bewegungsflächen. Hinzu kommen umweltbedingte Gesundheitsrisiken und -belastungen, wie zum Beispiel hohes Verkehrsaufkommen, erhöhte Lärm- und Schadstoffemissionen sowie eine schlechtere Sicherheitslage.

Die vorfindbare Mortalität in diesen Quartieren mit niedrigem sozio-ökonomischem Status übertrifft das durch den jeweils individuellen sozio-ökonomischen Status der Bewohner erwartbare Maß.

Theoriebildungen zur Auswirkung des Wohnumfeldes auf Gesundheit und Mortalität gehen davon aus, dass es eine Wechselwirkung zwischen der sozioökonomischen und ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung in einem Quartier, dem sozialen Umfeld und dem physikalischen Umfeld gibt. Das soziale Umfeld umfasst hierbei Aspekte wie vorherrschende Normen und Werte, den sozialen Zusammenhalt und soziale Beziehungen sowie Sicherheit bzw. Gewalt. Das physikalische Umfeld umfasst verschiedenste Aspekte wie Umweltbelastungen, Qualität der Bebauung und Wohnungen, Zugang zu Ernährungs- und Freizeitressourcen, Natur und ästhetische Aspekte. Soziales und physikalisches Umfeld wiederum haben Einfluss auf die subjektive Wahrnehmung eines Quartiers durch die Bewohner, auf das Zu- bzw. Abzugsverhalten sowie auf das Gesundheitsverhalten.

Die Zusammenhänge zwischen der sozialen Lage in Quartieren, den dort vorgefundenen physischen Umgebungsmerkmalen, dem damit verbundenen Gesundheitsverhalten und dem gesundheitlichen Status sind Gegenstand intensiver Forschung. Es gibt aber offenbar insgesamt keine Arbeit, die versucht, die verschiedenen Aspekte im Zusammenhang darzustellen und im Kontext von sozialer Ungleichheit zu analysieren.

Evaluation von Prävention und Gesundheitsförderung

 Angesichts der beschriebenen Situation haben Gesundheitsförderung und Prävention eine hohe Bedeutung. Gesundheitsförderung will durch Stärkung von Gesundheitsressourcen zu einer Verbesserung von gesundheitsrelevanten Lebensweisen und Lebensbedingungen beitragen. Unter Prävention bzw. Krankheitsprävention werden Maßnahmen verstanden, die darauf abzielen, das Auftreten oder die Ausbreitung von Erkrankungen zu vermeiden oder zu verringern bzw. die negativen Auswirkungen von Krankheiten und Gesundheitsstörungen zu reduzieren.

Hierbei lassen sich u.a. verhaltens- und verhältnisorientierte Ansätze der Prävention unterscheiden. Verhaltensprävention zielt dabei auf eine Veränderung des Verhaltens von Individuen oder Gruppen durch Maßnahmen wie Information, Aufklärung, Erziehung oder Training. Ein Problem der Verhaltensprävention besteht darin, dass sie zum einen eine begrenzte Reichweite hat: 2013 haben nur 2,1 % der GKV-Versicherten verhaltenspräventive Maßnahmen der GKV in Anspruch genommen. Zum anderen ist die Inanspruchnahme von und Beteiligung an solchen Maßnahmen in hohem Maße von den individuellen Gesundheitseinstellungen abhängig. Vor allem Männer und Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status werden durch solche Maßnahmen deutlich schlechter erreicht. Vor diesem Hintergrund gelten verhältnisorientierte Präventionsmaßnahmen als wichtige Ergänzung.

Verhältnisprävention will bestimmte Aspekte des Umfelds (der Verhältnisse) so verändern, dass ein gesundheitsförderliches Verhalten leichter und damit wahrscheinlicher wird.

In der Lebenswelt der Betroffenen angesiedelte Maßnahmen, die darauf abzielen, diese Lebenswelt in gesundheitsförderlicher Richtung weiter zu entwickeln (Setting-Ansatz) haben ein hohes Potential. Die Bedeutung solcher Ansätze wird nicht zuletzt durch die explizite Berücksichtigung im Präventionsgesetz von 2015 unterstrichen; der Leitfaden Prävention des GKV-Spitzenverbandes bezieht sich ausdrücklich auf den Setting-Ansatz. Auch erhofft man sich von Setting- und verhältnisorientierten Maßnahmen eine Verringerung der sozialen Ungleichheit von Gesundheit.

Im Gegensatz zum mutmaßlichen hohen Potential verhältnisorientierter Maßnahmen steht eine eher geringe Forschung hierzu.

So wird schon lange bemängelt, dass Verhältnisprävention viel zu wenig erforscht und daher auch zu wenig weiterentwickelt wird. Insbesondere fehlen Arbeiten, die von einem konsequent wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse geleitet werden, die also auf die Prüfung von Hypothesen und die Entwicklung neuer Erkenntnisse abzielen und nicht primär vom Bemühen geleitet sind, ein bestimmtes Interventionsmodell als erfolgreich zu bewerten.

Hinzu kommt, dass Planung und Evaluation gesundheitsbezogener Maßnahmen Gesundheitsindikatoren erfordern, mit denen die gesundheitliche Ausgangslage sowie deren Veränderung reliabel und valide erfasst werden können. Um Veränderungen im Zeitverlauf valide abbilden zu können, müssen solche Gesundheitsindikatoren ausreichend veränderungssensitiv sein. Verfügbare Gesundheitsindikatoren reichen von globalen und krankheitsspezifischen Mortalitätsraten, sowie Prävalenzdaten über die allgemeine Einschätzung des Gesundheitszustands oder über Instrumente zur Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bis zu speziellen Instrumenten zur Erfassung von verschiedenen Risiko-, Belastungs- oder Schutzfaktoren. Es existieren Indikatorensätze für unterschiedliche Anwendungsfelder bzw. Gebietsgrößen. Es existiert jedoch kein Set von handhabbaren, veränderungssensitiven Gesundheitsindikatoren, mit dem die gesundheitliche Situation und ihre Veränderung von Menschen in ihrem kleinräumigen Wohnumfeld (Quartier oder Kommune) praktikabel, reliabel und valide gemessen werden kann.

Auch die Erschließung und Nutzung von Sekundärdaten, speziell Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), haben für die Beschreibung der gesundheitlichen Lage im Quartier ein hohes Potential. Dabei können die GKV-Daten mit ihren Möglichkeiten der kleinräumigen Auflösung die amtliche Sozialraumstatistik mit der Bereitstellung von Daten zur Morbidität und Inanspruchnahme von GKV- Leistungen ergänzen. Darüber hinaus können diese Daten auch für eine gesundheitsökonomische Evaluation von Programmen genutzt werden.